Geographie der Erinnerung

Vernissageansprache

von Medea Hoch

„Geographie der Erinnerung“ nennt Monika Feucht ihre Ausstellung. Die Geographie der Künstlerin hat ihren Ausgangspunkt in der Zentralschweiz: in Meggen wurde Monika Feucht 1956 geborgen, in Luzern lebt sie, studierte sie Kunst und erhielt sie vergangenes Jahr anlässlich der Jahresausstellung den Preis der Zentralschweizer Kantone. In jüngerer Zeit hat sich der Massstab vergrössert: 2010 führte Monika Feucht ein Atelierstipendium der Visarte Zentralschweiz in die Cité Internationale des Arts nach Paris, wohin sie seither wiederholt zurückkehrte, im Herbst 2016 arbeitete sie im Tessin, in der abgeschiedenen Casa Atelier in Bedigliora, wo wir uns kennengelernt haben.

Landschaft ist das Thema in den neuen Werkgruppen. Ausgangspunkt sind fotografisch festgehaltene Eindrücke, meist der vertrauten Moorlandschaft in der Luzerner Almend.

Durch verschiedene Verfahren wie Reduzierung auf Grautöne, Wahl eines Ausschnitts ohne orientierende Horizontlinie, Spiegelungen, Vergrösserungen, Verkleinerungen und Überlagerungen verlieren die Landschaften ihre Massstäblichkeit, changieren zwischen Grossem und Kleinem, gewinnen abstrakte Qualität. In ihrem Bedigliora-Notizbuch schreibt Monika Feucht: „Mondini: Mein Blick fällt auf kleine Welten; Teiche, Bäche, Bergrücken, Gras und Moos. In den neueren Arbeiten ist da immer eine Art cooler Kern, exakt begrenzt und akkurat gezeichnet. Dann weitet sich der Blick, franst aus in der Zeichnung. Plötzlich birst das schöne Weiss, die kleinen Welten stehen Kopf. Grenzen lösen sich auf und Lichtpunkte haben Schattenseiten. Ich will keine wirklichen Landschaften zeichnen. Nichts ist echt – es sind einfach Striche, Strich für Strich.“ 

Von einem scharfen Kern aus löst sich die Darstellung auf und bekommt ein Eigenleben. 

Wo ich wirklich war meint denn auch diesen Prozess der Aneignung, meint konkret die Zeichnung, meint „Geographie der Erinnerung“. Diese neue Wirklichkeit ermöglicht unmittelbare Begegnungen. Da sich die Zeichnungen nicht mit der Welt identifizieren lassen, kann man sich in ihnen verlieren. Es ist zwar charakteristisch für die Zeichnung, dass sie die Fläche bestimmt. Doch wie in diesen Landschaften der Blattgrund in die Kompositionen einbezogen ist, hat einen besonderen Zauber.

Angesicht solcher zeichnerischer Souveränität wundert es nicht, dass Monika Feucht auch in der Luft zu zeichnen vermag. Die schwebenden Objekte aus bandagierten Ästen tanzen im Raum und werfen Schatten, die etwa an Geweihe von Hirschen denken lassen. Schattenwürfe sind für Monika Feucht auch immer wieder Quelle für neue Bildfindungen, so in drei Stillleben mit dem Titel Anemonen.

Die zweite Werkgruppe in dieser Ausstellung, über viele Jahre entstanden, zeigt Paarungen, einige in vitalen Rottönen. Wie gewisse Menschen überall vierblättrige Kleeblätter entdecken, scheint Monika Feucht einen Blick für Paare zu haben.

Um diese Objekte und Zeichnungen zu charakterisieren, bräuchte es eine ganze Palette an Wörtern, sicher aber spielerisch, gefunden, humorvoll, erotisch, mehrdeutig, alltäglich und subversiv. Die Dinge kommen meist aus einem häuslichen Bereich, in dem das Recht, Künstlerin zu sein, bis heute zuweilen als Privileg angesehen wird. Ein Paar als Wäscheklammer wirkt vergnüglich, bekommt indes auch etwas Unausweichliches, insbesondere, wenn es neben einem Foto hängt, das das Designerpaar Eams an eine Mauer gekettet zeigt.

Wie der Graphitstrich ziehen sich auch Haare durch die Ausstellung: als Motiv etwa in der eindrücklichen grossformatigen Frisur, wie auch in Landschaften und verblühenden Rohrkolben. Haare finden sich bei Monika Feucht indes auch als Medium, so in der Installation HerzkönigMilchblueme, eine Übertragung von Fior di latte, nennt sich eine zweiteilige Arbeit, in der Haare in Leinwand gestickt und geflochten sind. Die Spiralformen hat Monika Feucht aus einem kleinen schwarzweissen Zeitungsfoto extrahiert, das einen Haarknoten zeigt. Einzeln besehen ergeben die Bilder eher eine Blume, zusammen eher Brüste. Der Begriff Geographie, so Monika Feucht, stehe auch für immer wiederkehrende Bezüge, die sie seit ihrer Kindheit mache. Zuweilen überlagern sich Brüste auch mit Augen. So bildet sich die Vorstellung von einem Sehen, das auch ein Fühlen ist und einem Fühlen, das auch ein Sehen ist.

Wenn Augen wie Brüste, Landschaften haarig und Haare landschaftlich erscheinen, knüpft das an romantische Verfahren an. „Die Welt muss romantisiert werden“, fordert Novalis in einem seiner Fragmente und erklärt: „Indem ich [...] dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe so romantisiere ich es.“ Auf einem von Monika Feuchts Objektbilder heisst es verspielt: Ich sehe etwas, was du nicht siehst.

 

2017